Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich für die Umwelt engagieren, gerade weil sie sich der enormen Herausforderungen bewusst sind, vor denen unsere Gesellschaften stehen. Ihre Motive und Methoden unterscheiden sich. Aber allen sind zwei Dinge gemein: Sie leben den Wandel, den sie in der Welt sehen wollen. Und sie inspirieren dadurch andere, es ihnen gleichzutun. Franziska Herren ist eine von ihnen.

Vom Fitnessstudio ins Bundeshaus – eine Frau kämpft gegen Sub­ventionen für zerstörerische Landwirtschaft.

Wir können uns gerne auch am Sonntagnachmittag treffen, hat Franziska Herren auf meine Anfrage für einen Gesprächstermin geantwortet. «Arbeit und Freizeit sind für mich einerlei.»  Seit die 50-jährige Bernerin im März mit dem Stimmensammeln für ihre neuste Initiative begonnen hat, arbeitet sie praktisch rund um die Uhr. Ihr Sohn im Teenageralter, der anders als die Tochter noch zu Hause lebt, habe kürz­lich zu ihr gesagt, man sehe, dass sie wieder in einer Initiative stecke; der Kühlschrank sei fast leer. Das Fitnessstudio, das die ehemalige Stewardess seit 24 Jahren an ihrem Wohnort Wiedlisbach BE im Oberaargau führt, wird temporär vor allem von den Angestellten gemanagt.

Herren wirft gerne grundsätzliche Fragen auf: «Weshalb müssen Konsumenten mehr für biologisch produzierte Produkte bezahlen als für konventionelle? Und weshalb können sich in der Folge nur Privilegierte solche Produkte leisten?», fragt sie rhetorisch. «Weil Bauern nicht für die Umweltschäden aufkommen müssen, die durch Pestizide und Antibiotika angerichtet werden. Und weil diese Schäden auch noch vom Bund subventioniert werden.» Mit ihrer Volks­initiative «Für sauberes Trink­wasser und gesunde Nahrung» will Herren die Schweizer Landwirtschaft umkrempeln: Anstatt konventionelle Landwirtschaftsbetriebe mit Milliarden Franken zu subventionieren, sollen nur noch diejenigen Be­triebe von Bund und Kantonen unterstützt werden, die ohne Pestizide und ohne Massentierhaltung produzieren.

Wissen verpflichtet

«Eigentlich habe ich Mühe, in der Öffentlichkeit zu stehen, und arbeite lieber im Hintergrund», gesteht Herren. «Doch vom Zeitpunkt an, wo man etwas weiss, hat man eine Verantwortung. Dann muss man einfach etwas unternehmen.» Ihr politisches Engagement begann vor zwölf Jahren mit einer Gemeindeinitiative gegen den Kahlschlag eines Waldstücks und Naherholungsgebiets hinter ihrem Haus. Sie mobilisierte ihre Nachbarn, verhandelte mit der Burgergemeinde und wendete den Kahlschlag schliesslich ab. Zum ersten Mal spürte Herren, was es heisst, ein Anliegen gegen die Mehrheit und gegen Expertenmeinungen zu vertreten. Manche Nachbarn in der 2000-Seelen-Gemeinde gingen ihr plötzlich aus dem Weg oder kamen nicht mehr ins Fitnessstudio. Noch stärker bekam sie die Ablehnung zu spüren, als sie 2011 auf Gemeindeebene gegen die Umzonung von Fruchtfolgeland kämpfte. Es ging um viel Geld; entsprechend hart wurde um die Gunst der Gemeinde gerungen.

Mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 kam Herren unverhofft zu ihrem ersten politischen Auftritt auf kantonaler Ebene. Schockiert von den Bildern aus Japan, druckte sie Flugblätter und verteilte sie in ihrer Gemeinde. Eine Schweiz mit 100 Prozent erneuerbarer Energie sei möglich, behauptete sie dort. Walter Kummer, ein ehemaliger Unternehmer mit Geld und rechtlichem Know-how, bekam ein Flugblatt in die Hand. Er bot Herren an, eines ihrer Anliegen, das AKW Mühleberg vom Netz zu nehmen, auf kantonaler Ebene durchzusetzen. Ein Initiativkomitee wurde zusammen­gestellt, eine Website aufgeschaltet und Unterschriftensammler rekrutiert. «Mühleberg vom Netz» wurde am 18. Mai 2014 vom Berner Stimmvolk abgelehnt. Für Herren war die Initiative trotzdem ein Erfolg: «Aufgrund der Abstimmungsdebatte kann die BKW heute nicht mehr anders, als das AKW bis 2019 vom Netz zu nehmen.»

Bewusstsein für Schlamassel in Landwirtschaft

Herrens erste Initiative auf Bundesebene nahm ihren Anfang während einer Wanderung. Sie traf auf eine junge Kuh, die schreiend allein auf dem Feld stand, weil man ihr soeben das neugeborene Kalb weggenommen hatte. Sie begann zu recherchieren: «Je mehr ich mich mit dem Leid dieser Kuh befasste, desto mehr wurde mir der ganze Schlamassel unserer intensiven Landwirtschaft bewusst.» Dass man zugunsten einer hohen Milchproduktion den Kühen ihre Neugeborenen entreisst, war nur die Spitze des Eisbergs. Bald verzichtete Herren auf Käse und Milch; Vegetarierin war sie seit Kindesalter gewesen. Heute empört sie sich darüber, wie Konsumenten durch Werbung für Fleisch und Milch über die tatsächlichen Produktionsverhältnisse – die intensive Massentierhaltung – getäuscht werden. Und darüber, dass diese Werbung, genauso wie die umweltschädliche und unethische landwirtschaftliche Produktion, durch Steuergelder subventioniert wird. Der Lobbyverband Proviande erhält vom Bund jährlich rund sechs Millionen Franken.

Mit ihrer Initiative will Herren den Bogen von einer intensiven, auf Futtermittelimporten und Medikamenten basierenden Landwirtschaft zur Trinkwasserqualität spannen. Die konventionelle Landwirtschaft belastet Böden mit Nitraten und Pestiziden. Hinzu kommen Medikamentenrückstände insbesondere von Anti­biotika, die in der Massentierhaltung heute oft präventiv eingesetzt werden. Über Mist und Gülle gelangen sie auf die Felder, von dort ins Grundwasser und schliesslich in unser Trinkwasser. Was Herren besonders sorgt: «Die jährlich 42 Tonnen Antibiotika, die für unsere auf Hochleistung getrimmte Tierhaltung eingesetzt werden, führen dazu, dass sich zunehmend multiresistente Bakterien über die Gewässer verbreiten.» Für Menschen kann eine entsprechende Infektion tödlich enden. Deshalb bezieht sich das Initiativkomitee explizit auf das Gewässerschutzgesetz, das es verbietet, Stoffe in Böden versickern zu lassen, die Wasser verunreinigen können.

Laut Herren stösst die Initiative auf breites Interesse. «Die meisten unserer Spenderinnen und Unterschriftensammler kamen von sich aus auf uns zu, als sie von der Initiative hörten.» Das stimme sie positiv. «Solange man Menschen mit solchen Initiativen berühren kann, so lange sehe ich eine Chance für gesellschaftlichen Wandel.» Herrens Erfolgsrezept, um die Menschen zu berühren: «Man muss persönlich präsent sein.» Deshalb stehen ihre Telefonnummer und ihre E-Mail-Adresse auf jedem Unterschriftenbogen. Sie beantworte praktisch jede Anfrage persönlich – oft bis in die Nacht. Der Aufwand scheint sich zu lohnen: Nach sechs Monaten Unterschriftensammeln deutet alles darauf hin, dass die Initiative zustande kommt.

Beitragsbild: Franziska Herren (links) in Diskussion mit der Bevölkerung.

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