Quäkerinnen und Quäker aus Nordamerika waren bei der Gründung von Greenpeace 1971 dabei. Wie kam es dazu? Und wie grün ist diese religiöse Gemeinschaft heute? Zu Besuch bei einer Religiösen Gesellschaft der Freunde im nordöstlichen US-Bundesstaat Vermont.

An diesem Anfang ist die Stille. Eine ganze Stunde lang sitzen wir, zwei Männer und zwei Frauen, uns wortlos gegenüber. Der Raum im Begegnungshaus der Quäker in Burlington, ist hell und schmucklos, er erinnert an ein Schulzimmer aus dem 19. Jahrhundert. Die Mitschweigenden heis­sen John, Adam und LVM. Wir haben uns vor der Andacht (dem sogenannten Meeting for Worship) die Hand gegeben und uns mit Vornamen vorgestellt, ohne Fragen, ohne Erklärungen. Und nun sind wir gemeinsam still – eine eigenartig intime Begegnung. Ich denke an meine anspruchsvolle journalistische Aufgabe: Wie kann ich diese stumme Gruppe von Quäkern, diese Mitglieder der Religiösen Gesellschaft der Freunde, wie sie mit vollem Namen heissen, stimmig porträtieren? Ich sehe: John, der uns das Gebäude aufgeschlossen hat, ist ein in Auftreten und Kleidung bescheidener Mann um die sechzig, er sitzt sehr ruhig und gelassen da. LVM, eine Afroamerikanerin um die siebzig, strahlt selbst im Schweigen viel Selbstbewusstsein aus. Sie hat sich in Kleiderschichten aus satten Farben gehüllt, ganz eigenwillige Bohémienne. Adam, mein Sitznachbar, ist ein Mittzwanziger und trägt die altersgerechte Studentenuniform aus farbiger Trainingshose und Kapuzenpulli. Ihm fällt das Stillsitzen nicht so leicht. Er verschränkt die Beine, die Arme und die Finger immer wieder neu. Doch er findet stets zurück in die Konzentration. Genug gestarrt. Ich schlage meine Augen nieder auf die beruhigende Farbkombination des Teppichs: taubenblau, altrosa, hell- und dunkelgrau. Ähnelt das Muster nicht einem Vogel Greif mit weit ausholenden Schwingen? Auf einmal plärrt ein Mobiltelefon in die zeitlose Stille. John erklärt die Andacht für beendet. Wir bleiben sitzen und ich erkläre, dass ich vorab als Beobachterin und Berichterstatterin da bin. Ich möchte das Vertrauen und die Gastfreundschaft der Anwesenden nicht ausnutzen. Wir reden nun offen darüber, wie wir in diesen Raum gekommen sind.

Vier Menschen, ein Universum

John ist ein Quäker der achten Generation. Seine Vorfahren sind bereits im 17. Jahrhundert nach Amerika eingewandert. John ist nicht sicher, dass es in seiner Familie eine neunte Quäker-Generation geben wird. Seine Frau, die im polnischen Katholizismus aufgewachsen ist, fühlt sich dem Zen-Buddhismus nah, seine Töchter interessieren sich nicht besonders für das Quäkertum. Im Gegensatz zu John hat LVM erst als erwachsene Person zur Religiösen Gesellschaft der Freunde gefunden. Sie lobt die Kombination aus mystischem Erleben in der Andacht, solidarischer Gemeinschaft in den Versammlungen und engagiertem Aktivismus von sozial und ökologisch engagierten Quäkern. Adam sagt lange nichts, doch dann verrät er, dass er dabei sei, seine Drogenabhängigkeit zu überwinden. Die Quäker hätten ihn von allem Anfang an vorbehaltlos und herzlich willkommen geheissen. Die Meditation zusammen mit anderen Menschen gebe ihm Halt. Bloss vier Menschen sind hier versammelt und bilden doch irgendwie ein ganzes Quäkeruniversum: herausfordernde Neugier, festigende Tradition, umfassende Spiritualität, stützende Gemeinschaft.

Tradition und Widerstand

Weltweit gibt es heute vier- bis fünfhunderttausend Quäkerinnen und Quäker. Gut die Hälfte von ihnen lebt in Afrika. Allein in Kenia (44 Millionen Einwohner) zählt man zehnmal mehr Freunde als in Britannien (64 Millionen), wo die religiöse Gemeinschaft im turbulenten 17. Jahrhundert auf der Suche nach dem Urchristentum gegründet worden war. Die Migration dieser angelsächsischen Gemeinschaft in den Süden – nicht nur nach Afrika, sondern auch nach Südamerika, wo heute die drittgrösste Quäkergemeinde lebt – ist eine eigene, spannende Geschichte, die uns jedoch zu weit von unseren Vermonter Freunden wegführen würde. Die Distanz ist auch ideologisch, denn im Gegensatz zum hier porträtierten liberalen Freundeskreis von Burlington sind die Quäker des Südens meistens evangelikal. Ihr Gottesdienst folgt einer Liturgie und einer geistlichen Führung, und die Bibel hat einen zentralen Stellenwert. Johns Vorfahren stammen aus der Gründergeneration der englischen Quäker. Sie waren Zeitgenossen von George Fox, die man in den überseeischen Kolonien ebenso wie im Mutterland wegen ihres Glaubens verfolgte und bestrafte. 1660 wurden in Boston die Quäkerin Mary Dyer und drei weitere Freunde als Häretiker gehängt. Geistliche und weltliche Obrigkeiten taten sich schwer mit der zentralen Quäkerdoktrin vom «Inneren Licht», das in jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung leuchte. Denn diese Botschaft ist antiautoritär, ja anarchistisch. Die frühen Quäkerinnen und Quäker brauchten keine geweihten Priester für die Ausübung ihrer Religion und wollten deshalb auch keine Kirchensteuer zahlen.

Sie leisteten keine (Loyalitäts-)Schwüre, weil das die Wahrhaftigkeit ihrer sonstigen Aussagen relativiert hätte. Sie verweigerten als überzeugte Pazifisten den Kriegsdienst in den neuen amerikanischen Siedlungen, die ständig Bürgerwehren zu ihrer Verteidigung gegen die indianische Bevölkerung rekrutierten. 1789 wurde die Religionsfreiheit in die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika aufgenommen. Die Quäker konnten ihren Glauben nun offener leben und gewannen einigen Einfluss. In den heutigen Bundesstaaten Pennsylvania und Rhode Island stellten sie zeitweise die Mehrheit der Bevölkerung und auch der Regierung. Frei von unmittelbarer äusserer Bedrohung wandten sich viele Freunde im 18. Jahrhundert nach innen. Sie pflegten in dieser quietistischen Phase ihre Spiritualität nicht mehr mit lautstarken Kanzelreden, sondern in erwartungsvoller Stille – genauso wie ich es 200 Jahre später in Burlington erlebe. Manche Quäker glaubten, die Identität und den Zusammenhalt der Quäkergemeinschaft durch eine besondere Sprache (etwa andere, nichtheidnische Namen für die Tage der Woche) und besondere Verhaltensregeln sichern zu müssen. Zur Uniformierung trug auch die vorgeschriebene einfache Bekleidung bei, vorzugsweise in einem düsteren Olivgrau. Diese Farbe heisst in den USA heute noch Quäkergrau. Einige konservative Quäkergesellschaften in den USA haben diese Art historischer Kleidung quasi als Tracht beibehalten. Doch die meisten zeitgenössischen Quäkerinnen und Quäker unterscheiden sich, im Gegensatz etwa zur Religionsgemeinschaft der Amischen, äusserlich nicht von ihren Mitmenschen. Sie fahren keineswegs mit der Pferdekutsche, sondern nutzen die ganze Bandbreite der modernen Technik – wenn und solange es ihren Grundsätzen entspricht.

Quäker warten auf das «Innere Licht». Allein die spirituelle Erfahrung ist ausschlaggebend.

Mutiger Kampf für Ideale

LVM, die auch Workshops zum Thema Quäkertum leitet, breitet die wichtigsten Werte vor mir aus, die seit 350 Jahren und über alle theologischen Spaltungen hinweg den spirituellen Kern dieser religiösen Gesellschaft bilden: Einfachheit, Frieden, Wahrhaftigkeit, Gemeinschaft, Gleichberechtigung. An einer Weltkonferenz der Quäker 2012 ist offiziell das Zeugnis für ökologische Gerechtigkeit dazugekommen, das heisst der verantwortungsvolle Umgang mit der Erde und ihren natürlichen Ressourcen. Das sind hochherzige, jedoch ziemlich universelle ethische Grundsätze. Es sind Ideale, die von vielen Religionen geteilt werden. So überlege ich insgeheim. Als könne sie meine Gedanken lesen, stellt LVM klar, dass Quäkerinnen und Quäker ihren Glauben nicht bloss bekennen, sondern leben. «Lass dein Leben sprechen!» ist ein zentrales und von den Mitgliedern ohne viel Aufhebens befolgtes Quäkermotto. Die Maxime mutet den Einzelnen sehr viel persönliche Verantwortung zu. Für ihren Glauben riskieren die Freunde ganz selbstverständlich Verhaftungen und Gefängnisstrafen. Um Zeugnis abzulegen für Frieden oder Wahrhaftigkeit oder Gleichberechtigung, setzen sie wenn nötig ihr Leben ein. So radikal handelten etwa diejenigen frühen Freunde, die sich in den USA bereits um 1758 gegen die Sklaverei aussprachen und die die nächsten hundert Jahre unter Lebensgefahr entflohene Sklavinnen und Sklaven in Sicherheit brachten.

Im 19. Jahrhundert war die Religiöse Gesellschaft der Freunde in den USA ebenfalls stark beteiligt am Kampf für Frauenrechte; Quäkerinnen leisteten Pionierarbeit in der Behandlung von psychisch Kranken und bei der Gefängnisreform. Wut zeigten auch die den Kriegsdienst verweigernden Quäker des American Friends Service Committee (AFSC), die in den beiden Weltkriegen unter widrigsten Umständen zivile Friedensarbeit leisteten und dafür 1947 den Nobelpreis erhielten. Quäkerinnen und Quäker engagierten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Kampagnen gegen nukleare Aufrüstung. Anzutreffen waren sie etwa im Friedenscamp von Greenham Common und an den Demonstrationen gegen die Kriege in Vietnam, im Balkan, Irak und in Libyen.

Gegen die Missachtung des Göttlichen

Die Betonung des gelebten Glaubens – oder des gläubigen Lebens – hat dazu geführt, dass die Quäker politisch, kulturell und wirtschaftlich bis heute viel mehr bewirken, als es ihre vergleichsweise kleine Zahl vermuten lässt. Ihre Hauptmotivation ist die Überzeugung, dass die ungerechte Behandlung von Randständigen eine Sünde gegen das in allen Menschen leuchtende «Innere Licht» ist, eine Missachtung des Göttlichen, das in jedem und jeder von uns wohnt. Diese mystisch-religiöse Haltung brachte eine ganze Reihe robuster zivilgesellschaftlicher Organisationen hervor. Dazu gehören spezifische Quäkerinstitutionen wie das Quaker United Nations Office (QUNO) in New York, das versucht, auf Politiker der Vereinten Nationen Einfluss zu nehmen. Zunehmend wichtig ist auch das Netzwerk Quaker Earthcare Witness der ökologisch orientierten Freunde in Nordamerika. Vom Quäkertum beeinflusst sind aber auch säkulare und international bekannte NGOs wie die Hilfsorganisation Oxfam, die Menschenrechtsorganisation Amnes­ty International und die 1971 gegründete Umweltorganisation Greenpeace. Zur Greenpeace-Gründergeneration gehörte das US-amerikanische Quäkerpaar Dorothy und Irving Stowe. Die Fahrt des ersten «grünen» Schiffes Greenpeace I nach Alaska zum Protest gegen die Atomversuche der USA in Amtchitka wurde durch ein Benefiz-Rockkonzert im kanadischen Vancouver ermöglicht. Mitorganisatorin war die damals schon weltbekannte Quäkerin und Sängerin Joan Baez.

Ruah und Louis, Fachleute fürs Grüne

Sind Quäker die besseren Umweltschützer? Das frage ich den kleinen Kreis in Burlington. Als Antwort erhalte ich die Kontaktdaten von Ruah Swennerfelt und Louis Cox. Das seien ihre Fachleute für alles Grüne. Ein paar Tage später stehe ich nach einer langen Fahrt auf vereisten Nebenstrassen vor einer dunklen, eigenwilligen Holzkonstruktion, die man mir als Solarhaus beschrieben hat. Ich suche den Eingang. Ist es diese mit Klebern vollgekleisterte alte Holztür? Klingel hat es keine, Klopfen nützt nichts. Ich trete kurzentschlossen ein und rufe «Hallo», wie das im ländlichen Vermont noch üblich ist. Ruah und Louis sitzen in der Stube. Der Holzofen flackert. Ich rieche den Sauerteig in der grossen Schüssel auf dem Stuhl daneben. Der angebotene Sessel ist altmodisch weich. Der Raum hat viel Hippie-Charme, was zu meinem Gegenüber passt. Louis hat seinen grau gewordenen Pferdeschwanz aus den 1960er Jahren beibehalten (oder wiederentdeckt). Ruah, die sich funktional elegant kleidet, scheint nichts von ihrer jugendlichen Entschlossenheit und ihrem Engagement eingebüsst zu haben. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie als junge Frau ausgesehen hat. In den 1980er Jahren war ich eine alleinerziehende Mutter auf der Suche nach einem spirituellen Ort, der meinen drei Kindern ein moralisches Fundament geben könnte», beginnt Ruah zu erzählen. Ihr, der Tochter einer Jüdin, gefiel das Mystische an der Quäkerreligion, die stille Andacht, in der die Anwesenden darauf warten, dass etwas gegenwärtig ist, was sie Gott, den lebendigen Christus oder das «Innere Licht» nennen. Sehr schnell kam Ruah auf den harten Boden der Realität zurück. Sie berichtet über ihr Engagement gegen die Diktaturen in Lateinamerika, die Proteste, die Verhaftungen, die Gefängnisaufenthalte.

Ruah Swennerfelt und Louis Cox in ihrem Wohnzimmer. Für sie steht die Sorge um die Umwelt an erster Stelle.

Ein Satz verändert das Leben

1991 las Ruah auf einer internationalen Quäkerkonferenz in Honduras auf einem Plakat: «Ohne den Planeten wird es keinen Frieden und keine Gerechtigkeit geben.» Der Satz veränderte ihr Leben. Die Sorge um die Erde wurde zur Grundlage aller anderen politischen Arbeit. Von 1995 bis 2012 arbeitete Ruah hauptberuflich als Generalsekretärin des ökologischen Quäker-Netzwerks Quaker Earthcare Witness. Bei der Arbeit am organisationseigenen Magazin «Befriending Creation» (mit der Schöpfung Freundschaft schliessen) traf sie einen andern grünen Quäker, ihren heutigen Ehemann Louis Cox. «Ich bin eher zufällig zu den Quäkern gekommen», sagt Louis, der im damals noch rassengetrennten Süden der USA aufgewachsen ist. Erst während seiner Studienzeit in den frühen 1960er Jahren wurden an den staatlichen Universitäten des Südens die ersten afroamerikanischen Studierenden zugelassen. Seine Freunde, die ihn aus der engen weissen Welt hinausführten, die ihm von Peace-Corps-Einsätzen in fernen Ländern erzählten und auf historischem Bürgerkriegsgelände eine Konferenz für Teilnehmende aller Hautfarben organisierten, waren alles auch Freunde im religiösen Sinn. «Suppe und Soziales» hiess eine Quäkergruppe, mit der Louis am Küchentisch sass, um über Gerechtigkeit und Gleichberechtigung von Schwarz und Weiss zu diskutieren. In den 1970er Jahren verlegte sich der politische Aktivismus in den USA auf den Widerstand gegen den Vietnamkrieg. Auch hier legten die Quäker ihr Zeugnis für den Frieden ab. Am spektakulärsten tat es Norman Morrison, der sich am 2. November 1965 vor dem Büro des Kriegsministers Robert McNamara selbst verbrannte. «Die 1970er Jahre veränderten mein Leben, doch ich brauchte zwanzig Jahre, um all die Puzzleteile zusammenzufügen», erklärt Louis und fügt schmunzelnd hinzu: «Die Quäkerfreunde haben nie missioniert, und in den stillen Andachten konnte ich ja nicht sehr viel über ihre Lehre erfahren.» Louis wandte sich immer intensiver grünen Themen zu. Die frühe Ökologiebewegung hatte zwar einiges erreicht, bessere Umweltschutzgesetze zum Beispiel, oder ein Recyclingsystem für Haushaltmüll. Doch für Louis war das zu wenig. Seine Einschätzung: «Diese Art Umweltbewegung ist zu säkular, zu menschenzentriert. Sie tut so, als ob die Natur bloss dazu da wäre, uns und unseren bequemen Lebensstil zu bedienen. Es fehlt ein tieferes Verständnis für die Erde. Es geht um eine Welt, an der wir teilhaben, und nicht um eine von uns getrennte Umwelt.» Ruah pflichtet ihm bei: «Wir lieben unsere Kinder und würden alles für sie tun. So sollten wir auch die Erde lieben.»

Nach der Andacht eilen die Quäker zu Kaffee und Kuchen. Zurück bleibt das Bild des Quäkerpriesters und Malers Edward Hicks, die Paradiesdarstellung «The Peasable Kingdom».

2000 Kilometer zu Fuss

Wenn es um die Sorge für den Planeten Erde geht, sind Ruah und Louis ein eingespieltes Team. Vom November 2007 bis zum April 2008 pilgerte das Quäkerpaar zu Fuss vom kanadischen Vancouver über 2000 Kilometer weit nach San Diego, Kalifornien, um unterwegs für «Frieden für die Erde» zu werben. Leute vertreten die beiden ihre ökologischen Grundwerte in der Quäkerversammlung in Burlington, aber auch in verschiedenen politischen Organisationen. Sie sind aktiv im lokalen Ableger des internationalen Initiative Transition Movement, einer grünen Bürgerinitiative, die den ökologischeren Umgang mit den Ressourcen von unten und vom Lokalen her aufbauen will. Doch die beiden kommen immer wieder auf das Thema des gelebten Glaubens zurück. Vor kurzem hat Ruah ein Buch über die Zusammenarbeit des Transition Movement mit Gläubigen verschiedener Konfessionen veröffentlicht. «Rising to the Challenge» heisst es – die Herausforderung annehmen. 

Woher kommt dieses Vertrauen, diese Hoffnung der Religion? Steht nicht in der Bibel oder der Thora oder im Koran geschrieben, dass wir Menschen uns die Erde untertan machen sollen? Und haben die meisten Religionen das nicht jahrhundertelang gefördert? Muss man Quäkerin sein, um ökologisch denken und handeln zu können? «Die Erkenntnis, dass wir unsere historisch beschränkte Sichtweise auf die Welt erweitern müssen, ist nicht den Quäkern vorbehalten», sagt Louis, «viele Glaubensgemeinschaften sind in dieser spirituellen Krise und müssen sich neu orientieren oder erwachen.» Und Ruah ergänzt: «Zuerst empfanden unsere Quäkerfreunde die Sorge um die Erde bloss als zusätzliche Aufgabe in einem ohnehin überfüllten Aktionsplan. Heute sehen die meisten ein, dass es ohne Erde gar keine Zukunft, auch keinen Frieden und keine Gerechtigkeit gibt.»

Geschäftige Stille bei der Andacht

Im Quäkerhaus in Burlington treffen sich an diesem Sonntag über vierzig Quäkerinnen und Quäker. Die Alt-68er sind in der Überzahl, doch es hat auch junge Leute und Familien mit Kindern. An diesem Morgen findet ein Workshop statt, in dem die Teilnehmenden sagen, wie sie selber ihren Quäkerglauben sehen. Das spirituelle Spektrum ist breit. Viele sind aus anderen Glaubensgemeinschaften zu den Quäkern gekommen, vor allem aus dem Katholizismus. Andere verstehen sich als Pantheisten oder Humanistinnen oder sympathisieren mit buddhistischen Ideen. Die einen wollen «zur Quelle zurückkehren», andere «über sich hinausgehen». Ruah wirft ein «Niemand besitzt das ‹Innere Licht› allein, es ist da, wo Menschen zusammenkommen.» Mit diesem Gedanken setze ich mich hin zur sonntäglichen Andacht. Ich empfinde die Stille diesmal als sehr geschäftig, und das nicht nur, weil die Kinder in der ersten Viertelstunde mit dabei sind und etwas ungeduldiger auf den Stühlen rumrutschen als die Erwachsenen. Die Unruhe hält die ganze Stunde an, sie ist nicht primär körperlich bedingt, sondern brodelt im versammelten Schweigen. Dieses birgt so viele unterschiedliche Lebensgeschichten, Gefühlszustände und Spiritualität. Zweimal wird spontan das Wort ergriffen: Einmal, um daran zu erinnern, dass das «Innere Licht» nicht nur in spektakulären Momenten und Aktionen da ist, sondern als ständige Präsenz oder zumindest als ständige Chance. Eine zweite Stimme mahnt, dieses Licht nicht als individuell brennende Flamme zu begreifen, sondern als Leuchten, das uns alle verbinde und genährt und gepflegt werden müsse. Das tönt ein wenig nach New Age – oder wie die Predigt in irgendeiner Kirche. Nur wird die Andacht hier nicht mit einem priesterlichen Segen beendet, sondern mit handfesten politischen Voten. Man diskutiert über die Immigrationssperre für Muslime und die angedrohte Wiederaufnahme der umstrittenen Pipeline-Projekte Keystone-XL und Dakota Access. Etliche beklagen den Rassismus und Sexismus der neuen US-Regierung. Die zum Teil äusserst kampferprobten Quäkerinnen und Quäker suchen gemeinsam nach gewaltfreien, produktiven Methoden des Widerstands. Sie vernetzen sich spontan, planen die nächsten Protestaktionen und machen sich gegenseitig Mut. Alle wissen aus der langen, bewegten Quäkergeschichte, dass es für den gelebten Glauben einen langen Atem braucht. Schliesslich reicht jemand einen Handzettel mit den Worten des Dalai Lama herum: «Gib niemals auf, egal was passiert, gib niemals auf!»