Gastkommentar von Markus Allemann, Co-Geschäftsleiter von Greenpeace Schweiz, über die Lücke in der Energiestrategie des Bundes in der Solothurner Zeitung vom 14.10.2016.

Die Energiestrategie 2050 ist beschlossen. Mit AKW-Neubauverbot, doch ohne Atomausstieg. Und das kam so: Kurz nach dem Unfall in Fukushima beschloss der Bundesrat den Atomausstieg. Die Welt staunte, die Grünen jubelten – die Skeptiker spielten auf Zeit.

Während vier Jahren entstand in der Folge ein austariertes Gesetzespaket, das in der letzten Session die Schlussabstimmung überstanden hat: Ein bisschen mehr Förderung der erneuerbaren Energien, ein bisschen Wärmeisolation, ein bisschen mehr Schutz für unberührte Kleingewässer … Und das Verbot, neue Atomkraftwerke zu bauen!

So weit, so gut, wir leben im Kompromissland. Teil des lauen Kompromisses ist, dass das Energiewende-Paket eben kein Wort zur Laufzeit der bestehenden Atomkraftwerke verliert. «Fuck you, Fukushima» mag die Botschaft lauten, die das Parlament uns, dem Volk, damit vermitteln will. Reichen wir dem Parlament die Hand!

Am 27. November haben wir es nämlich in der Hand, «Ja» zum geordneten Atomausstieg zu sagen. Mit einem Ja dürfen alle fünf AKW in der Schweiz 45 Jahre lang am Netz bleiben – fünf Jahre länger als ursprünglich geplant.

Die Betreiber erhalten eine klare Laufzeitbefristung und können sich ordentlich auf den jahrelangen Rückbau vorbereiten. Die Wirtschaft erhält klare Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, was ihr erlaubt, den Ersatz des wegfallenden Stroms rechtzeitig in Angriff zu nehmen. Die Stromleitungen werden frei für sauberen Strom, die Bevölkerung wird nach und nach vom hohen Risiko eines Atomunfalls befreit.

Man fragt sich, warum das Parlament nicht die Vernunft für eine Lösung mit Abschaltmechanismus aufbringen konnte – oder wollte. In den Beratungen sagten unsere Volksvertreter partout: «Die AKW-Sicherheit ist Sache der Experten, die Politik soll sich da nicht einmischen!» – Und sie widersprachen sich selber, als die nukleare Aufsichtsbehörde Ensi selber von eben diesem Parlament verschärfte Sicherheitsauflagen für alte AKW verlangte.

Unsere Volksvertreter in Bern ignorierten die Warnungen der Experten – und erteilten eine Absage. Dabei war die Absicht der nuklearen Aufsichtsbehörde durchaus vernünftig: AKW-Betreiber sollten bis zum Betriebsende in die Sicherheit investieren. Stattdessen beschloss das Parlament, dass Atomkraftwerke bis zum Gehtnichtmehr ausgefahren werden dürfen.

Dieses Risiko sollten wir nicht akzeptieren. Bereits heute decken die installierten Solaranlagen die Produktion von Beznau I. Die bewilligten Projekte der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) machen Beznau II überflüssig. Und die restlichen Projekte auf der Warteliste ersetzen Mühleberg. Jeden Monat melden Hausbesitzer zusätzliche 1000 neue Projekte an, und mit diesem Trend sind bis 2025 ausreichend viele Projekte da, um sämtliche AKW der Schweiz mit Sonne, Wind oder Biomasse zu ersetzen – also rechtzeitig vor dem letzten Abschalttermin 2029!

Ein beherztes «Ja» des Volks für einen geordneten Atomausstieg am 27. November deckt die Lücke der soeben parlamentarisch verabschiedeten Energiestrategie.