Am 27. November stimmt die Schweizer Bevölkerung über den geordneten Atomausstieg ab. Im Vorfeld bringen die Gegner Argumente auf den Tisch, die sich leicht widerlegen lassen.

Die Atomausstiegsinitiative (AAI) steht nicht in Konkurrenz zur Energiestrategie 2050 des Bundes, sondern ergänzt und unterstützt sie mit klar definierten Etappenzielen: Bei einer Annahme werden 2017 Beznau 1 und 2 und Mühleberg abgeschaltet, 2024 ist die Reihe an Gösgen, 2029 soll Leibstadt als letztes Schweizer AKW vom Netz gehen. Von diesem Fahrplan würde die Binnenwirtschaft dank einem Investitionsschub im Bereich der erneuerbaren Energien profitieren.

Die Initiative bringt gutschweizerisch auf den Punkt, was die Mehrheit der Bevölkerung will: Planungssicherheit auf dem Weg in eine saubere Zukunft ohne atomare Risiken. Nachfolgend die sieben wichtigsten Argumente der Initiativgegner und die treffenden Antworten.

1 «Ohne Atomkraftwerke gehen die Lichter aus. Es kommt zu Engpässen in der Stromversorgung. Die Versorgungssicherheit ist nicht mehr gewährleistet.»
Die Lichter werden in keinem Fall ausgehen. Zum einen deshalb, weil die Schweiz eines der am besten vernetzten Länder Europas ist und jederzeit Strom importieren kann. Und zum andern, weil bei uns in den letzten Jahren die Produktion an erneuerbarer Energie (Solar, Wind, Wasser und Biomasse) so stark zugenommen hat, dass ein AKW von der Grösse Mühlebergs schon ersetzt ist. Ausserdem warten auf der Liste der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) rund 55 000 Kraftwerksprojekte mit einer Gesamtproduktion von über 10 Terawattstunden auf Bau oder Finanzierung. Zusammen mit den schon gebauten Anlagen könnte man schon heute mehr als die Hälfte des Atomstroms ersetzen. Wir müssen nur wollen.

2 «Wenn wir die AKW abstellen, müssen wir dreckigen Strom aus Europa importieren. Das macht uns vom Ausland abhängig und bewirkt, dass die Klimaziele nicht erreicht werden.»
Wir haben nicht nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wie jeder Einzelhaushalt kann auch die Schweiz als Land beschliessen, nur Strom aus erneuerbarer Energie zu kaufen. Wenn wir parallel dazu unser Potenzial an einheimischen erneuerbaren Energien ausschöpfen, wird die Abschaltung des letzten AKWs im Jahr 2029 unsere Unabhängigkeit sogar erhöhen, denn Uran müssen wir ja auch importieren. Kommt dazu, dass unsere Stromversorger im Ausland so viele erneuerbare Anlagen hinzugebaut haben, dass damit zwei Schweizer Atomreaktoren überflüssig geworden sind. Der Atomausstieg ändert im Übrigen nichts daran, dass unsere Nachbarländer ihre fossilen Kraftwerke in den nächsten Jahren abschalten müssen, um ihre Klimaziele zu erreichen.

3 «Wir sollten an unserer bewährten Stromversorgung festhalten, solange sie sicher funktioniert. Die Atomaufsichtsbehörde ENSI sorgt schon dafür, dass unsichere AKW abgeschaltet werden.»
Das sieht das ENSI mittlerweile nicht einmal mehr selber so. Es hat vom Parlament Verbesserungen der Gesetze verlangt, damit es seine Aufgabe besser erfüllen und die Sicherheit erhöhen kann. National und Ständerat haben dem ENSI aber eine nicht zu verantwortende Absage erteilt. Niemand – auch nicht das ENSI – kann garantieren, dass es in den Schweizer Atomkraftwerken zu keinen Unfällen kommt. Von einem sicheren, funktionierenden System kann nicht die Rede sein.

4 «Bei einer Annahme der Initiative werden die AKW-Betreiber Schadenersatz fordern. Wir zahlen das doppelt: mit unseren Steuern und höheren Stromkosten. So wird Volksvermögen vernichtet!»
Ein wichtiger Faktor ist die Stromschwemme in Europa. Deswegen sind die Preise gefallen und deswegen sind die AKW nicht mehr rentabel. Das hat aber mit der Initiative nichts zu tun. Für unrentable Kraftwerke wird es keinen Schadenersatz geben. Die Stromschwemme kann man reduzieren, indem man Kraftwerke abschaltet und stilllegt. Die Initiative leistet also einen Beitrag zu einer Erholung am Strommarkt – und hilft damit insbesondere der Schweizer Wasserkraft. Ein geordneter Ausstieg ist zudem günstiger als ein ungeordneter, wie das Beispiel Beznau zeigt. Und extrem viel günstiger als ein GAU.

5 «Wie können wir auf AKW verzichten, wenn wir immer mehr Strom verbrauchen? Bevölkerung und Wirtschaft wachsen, Wärmepumpen und Elektromobilität brauchen zusätzlichen Strom.»
Die Schweiz verbraucht heute trotz Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum noch immer ungefähr gleich viel Strom wie vor 10 Jahren. Das Energiesparpotenzial ist trotz technologischer Fortschritte nach wie vor bei weitem nicht ausgeschöpft, beispielsweise in der Gebäudetechnik. Dass zusätzliche Wärmepumpen und die Elektrifizierung des Verkehrs den Stromverbrauch erhöhen, ist richtig. Weil aber immer noch jede dritte Kilowattstunde verschwendet wird, kann dieser Mehrverbrauch kompensiert werden. Ausserdem wird die Stromproduktion aus einheimischen erneuerbaren Energiequellen in den nächsten Jahren deutlich zunehmen.

6 «Ein Stromsystem aus hundertprozentig erneuerbaren Energiequellen ist gar nicht möglich, denn es brauchte immense Speicher, um den unregelmässig anfallenden Solar- und Windstrom auszugleichen.»
Mit den Stauseen in den Alpen besitzt die Schweiz bereits grosse Energiespeicher. Ausserdem ist sie bestens mit Europa vernetzt. Berechnungen der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid zeigen, dass ein Stromsystem aus hundertprozentig erneuerbaren Energiequellen machbar ist. Für kurzfristige lokale Überschüsse gibt es kostengünstige Lösungen. Und neue Technologien wie Smart Grids, welche Produktion und Verbrauch aufeinander abstimmen, haben ein nicht zu unterschätzendes Potenzial.

7 «Auch erneuerbare Energien belasten die Umwelt.»
Das stimmt! Energie einzusparen ist deshalb immer noch die beste Lösung. Zwischen den Energieträgern gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede: Atomstrom hat über den ganzen Zyklus hinweg gesehen – also von der Förderung der Rohstoffe bis zum Recycling oder zur Entsorgung der Abfälle – eine viel schlechtere Umweltbilanz als alle erneuerbaren Energieträger. Zudem ist die Frage der Endlagerung des Atommülls weiterhin nicht gelöst.

Mach Dich fit für die Abstimmung: Weitere News, Film-& Buchtipps wie Du Dein Wissen in Sachen Atom und Energiezukunft für die Atomdebatte vertiefen kannst: 

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Internationale Atomnews:

Schweden: Dreckige Energie kostet – falsche Signale auch
Mit dem Unfall von Three Mile Island (USA) Ende 70er Jahre beschloss Schweden per Volksabstimmung den Ausstieg aus der Atomenergie. Doch 2010 sollten die alten Meiler wieder durch neue AKW-Bauten ersetzt werden. Noch 2015 war klar, dass der Widerstand der Opposition zu gross und die wirtschaftlichen Interessen zu schwach waren. Ein Jahr später will Schweden nun dennoch den Bau neuer Reaktoren zulassen – ein Fehler, der sich vor allem finanziell zeigen dürfte: Schwedens Gesetz schliesst Subventionen für die Atomkraft ebenso klar aus, wie die Haftungskosten für AKW-Betreiber. Wer also in Strahlenenergie investieren will, muss dies über andere Wege finanzieren. Zudem lautet das gesetzlich festgelegte Ziel, «Schweden bis 2040 komplett mit erneuerbaren Energien zu versorgen».

Frankreich: Das erste Endlager für hochradioaktive Abfälle
In Frankreich ist der Entscheid für den Standort von Europas erstem Endlager für hochradioaktiven Abfall gefallen: In 500 Metern Tiefe will die französische Regierung im Nordosten des Landes unweit des Dorfes Bure ab 2030 hochradioaktiven Atommüll lagern.

Südafrika: Fehlgriff in Sachen Energiepolitik
Südafrika hat Sonne satt und genug Rückenwind für erneuerbare Energien. Trotzdem beabsichtigt das Land am Kap, bis 2030 in mindestens sechs neue Atomkraftwerke zu investieren. Mitinvestor ist die zwielichtige Atommacht Russland. Greenpeace ist überzeugt, dass Atomkraft nicht die Antwort auf Südafrikas Energiekrise sein kann, und setzt sich für Investitionen in erneuerbare Energien ein. Greenpeace fordert ausserdem, das einzige Atomkraftwerk des Landes, Koeberg, endlich auslaufen zu lassen und die erneuerbaren Ressourcen Sonne und Wind zu nutzen.

Fukushima: Über den Ozean
Als im März 2011 drei Reaktoren des AKWs Fukushima Daiichi explodierten, wehte der Wind den grössten Teil der Strahlung aufs offene Meer. Wie viel Radioaktivität dabei in den Pazifik gelangte, ist unklar. Die meisten Schätzungen gehen von 30 Petabecquerel aus, das sind 30 Billiarden Becquerel: eine Zahl mit 16 Nullen. Vor Japans Küste treffen gewaltige Strömungen aufeinander, deren Wassermassen die Strahlung stark verdünnen. Trotzdem bedeutet das keine Entwarnung, denn wie sich das Ökosystem Meer und seine Bewohner unter dieser Belastung weiterentwickeln können, ist noch ungewiss.