Am Preiszerfall im Strommarkt ­seien die hohen Subventionen für Solar- und Windenergie schuld, behaupten die grossen Schweizer Energiekonzerne – und lenken damit von ihrem ­eigenen ­strategischen Unver­mögen ab.

Vor fünf, sechs Jahren war die Welt für die Schweizer Wasserkraftwerkbetreiber Axpo und Alpiq noch in Ordnung. Sie pumpten in der Nacht mit billiger ausländischer und inländischer Bandenergie aus Atom-, Kohle-, Wind- und Flusskraftwerken Wasser in ihre Stauseen und produzierten damit tagsüber, wenn die Nachfrage hoch war, teuren Spitzenstrom. Das war leicht verdientes Geld. 2009 erzielte die stromerzeugende Branche mit fast vier Milliarden Franken Reingewinn ein Rekordergebnis.

Doch statt die Milliardengewinne in die Energiewende zu investieren, legten die Konzerne das Geld in ausländischen Kohle- und Gaskraftwerken an. Damit trugen sie zur europäischen Stromschwemme bei. Heute kostet eine Kilowattstunde (kWh) an der Strombörse weniger als 3 Rappen, während die Herstellungskosten in der Schweiz bei 5 bis 6 Rappen liegen. Weil die Erträge den Aufwand nicht mehr decken, sind Axpo und Alpiq in arge wirtschaftliche Nöte geraten. Ihre Chefs wiederholen gebetsmühlenartig, dass die hohen Subventionen für Wind, Sonne und Biomasse, aber auch die spottbillige Kohle in Deutschland schuld an der Misere seien. In Wahrheit sind sie wegen ihrer kurzsichtigen Investitionspolitik mitverantwortlich.

Die Schweizer Strompreise gerieten 2009 mit der europäischen Marktöffnung in Schieflage. Grossverbraucher ab 100 000 Kilowattstunden und kommunale Verteilwerke konnten sich im Ausland auf einmal günstig mit Strom eindecken. Paradoxerweise nutzten auch die kantonalen Elektrizitätswerke (EW), denen die Stromkonzerne Axpo und Alpiq gehören, diese Möglichkeit. Sie zwangen damit ihre eigenen Schützlinge, ihnen den Strom unter den Gestehungskosten abzugeben, und betrieben damit «Kannibalismus» (WOZ, 31.3.16). 

An der Kohle hängen 100 000 Arbeitsplätze

In Europa stammen vier Fünftel des Stroms aus Kohle, Öl, Gas und Atomkraftwerken. Dass der Strom so billig ist, hat viel mit der Kohle zu tun: Trotz massivem Zubau bei Wind und Sonne wird der Kohleabbau künstlich am Leben erhalten, weil in Deutschland direkt und indirekt bis zu 100 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Die Kohle ist ein schmutziger Energieträger, der gewaltige Mengen CO2 in die Atmosphäre bläst. Abbau und Verbrennung sind nur deshalb rentabel, weil der Emissionshandel nicht funktioniert. Die COAbgabe ist mit vier Euro pro Tonne CO2 im wahrsten Sinn des Wortes dreckbillig. 2005 waren es noch 30 Euro. Die Kraftwerke von Vattenfall und RWE zählen laut «Spiegel» zu den schlimmsten Klimakillern Europas. Sie stossen mit 87 Millionen Tonnen pro Jahr mehr als doppelt so viel CO2 aus wie die Schweiz.

Umweltkosten der Kohleverbrennung nicht einberechnet

Die Tiefstpreise beim Kohle-Bandstrom haben ihren Grund: Die externen Kosten (Klima, Gesundheit) sind bei der Kohleverbrennung nicht im Preis eingerechnet. Nach wie vor müssen die Stromproduzenten nicht für die langfristig gewaltigen Kosten der Umweltschäden aufkommen, die sie mit dem Treibhausgas CO2 anrichten. Diese beliefen sich laut EU im Jahr 2012 auf 122 Milliarden Euro. Dazu kommen direkte Subventionen von 44 Milliarden Franken (Ecofys, Agentur Erneuerbare Energie AEE). Diesem Betrag stehen 50 Milliarden Euro für die Unterstützung von Wind-, Sonnen- und Biomasse-Energie gegenüber (direkte Subventionen plus indirekte Kosten). Die Behauptung der Schweizer Konzernchefs, übersteigerte Subventionen für die erneuerbaren Energien hätten den Zusammenbruch des Strompreises bewirkt, entbehrt also jeder Grundlage.

Die Verschmutzung der Atmosphäre und der damit verbundene Klimawandel werden Hunderte Millionen Menschen treffen, die nichts zu dieser Katastrophe beigetragen haben. Die Kosten für Umsiedlungen, Notmassnahmen etc. werden schon jetzt mit Summen in Billionenhöhe beziffert. Für die Klima-Allianz Schweiz, einen Zusammenschluss von 66 Schweizer (darunter Greenpeace), liegt die Lösung auf der Hand: Die Verursacher müssen für die Verschmutzung der Atmosphäre mit CO2 endlich einen angemessenen Preis zahlen. Positiv stimmt, dass in Deutschland inzwischen erste Kohlekraftwerke stillgelegt worden sind – gegen Entschädigung durch den Staat. Die Schweiz muss bis 2040 zur Umsetzung des Pariser Klimaprotokolls ihren CO2-Ausstoss auf null reduzieren. Nur so kann die Erderwärmung auf maximal 1,5 °C begrenzt werden.

AKW-Strompreis ist eine Mogelpackung

Auch die Atombranche ist weit davon entfernt, ihre vollen Kosten zu tragen. Würde man die Stilllegung, den Rückbau und die Entsorgung der AKW einrechnen, müsste der Atomstrom 36 Rappen pro Kilowattstunde kosten statt 5 Rappen. Dies zeigt eine Rechnung der Schweizerischen Energie-Stiftung SES. Die AKW-Betreiber haben in den über vier Jahrzehnten Betriebsdauer nur wenige Milliarden für den Rückbau ihrer Kraftwerke und die Entsorgung der Abfälle zur Seite gelegt. Laut Schätzungen der SES wären dafür aber mindestens 40 Milliarden nötig. Den Aufpreis wird die Allgemeinheit zahlen.

Kommt dazu, dass Schweizer AKW höchstens für Schäden bis 1,3 Milliarden Franken haftpflichtversichert sind. Das ist lächerlich wenig angesichts eines GAU wie in Fukushima (2011), dessen Verheerungen auf 260 Milliarden Dollar beziffert werden. AKW-Unfälle haben laut ARD weltweit seit 1952 rund 500 Milliarden Dollar gekostet. Übrigens werden in jeder Schweizer Haushaltsversicherungspolice im Kleingedruckten die Kosten eines Atomunfalls ausgeklammert.

Deutschland als Vorbild

Ohne klare Prioritätensetzung der Regierungen kann die Energiewende nicht gelingen, zumal sie mit einer gewaltigen Umlagerung von finanziellen Mitteln verbunden ist. Der ETH-Klimablogger Klaus Ragaller schrieb am 23. Juni 2016 in der NZZ, die Neuausrichtung habe «durchaus die Dimension einer weiteren industriellen Revolution». Deutschland ist auf gutem Weg: 2015 trugen die erneuerbaren Energien (Sonne und Wind) bereits 30 Prozent zur Bruttostromerzeugung bei. Zum Vergleich: Die Schweiz liegt dank der vielen Stauseen bei 60 Prozent. Aber das ist schon seit Jahrzehnten so – unser Land bewegt sich kaum.

Bis zum Jahr 2025 will Deutschland einen Anteil von 40 bis 45 Prozent erneuerbarer Energie erreichen, bis 2035 gar 55 bis 60 Prozent. Eingeleitet wurde die Energiewende im April 2000 mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG). Betreiber entsprechender Anlagen erhalten eine feste Vergütung für jede eingespeiste Kilowattstunde. Damit Wind-, Solar- und Biogasanlagen am Markt mit Kohle- und Atomkraftwerken konkurrieren können, dürfen solche Kraftwerke den Strom zu einem fixen Preis einspeisen. Der liegt deutlich über dem Preis an der Strombörse EEX. Die Differenz zwischen Börsenpreis und fixem Abnahmepreis zahlen die Verbraucher über die Stromrechnung. Unter dem Druck der konventionellen Energiewirtschaft werden die Fördermassnahmen allerdings laufend gekürzt, was die Erreichung der Ziele gefährdet.

Schweiz im Hintertreffen

Anfang 2013 kritisierte Greenpeace, die Schweiz produziere «statt Solar-Kilowattstunden Wartelisten-Kilowattstunden». Tatsächlich befanden sich Ende Mai 2016 fast 55 000 Anlagenprojekte entweder auf der Warteliste der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) oder im Baubewilligungsprozess, die allermeisten davon Photovoltaikanlagen. Mit der erwarteten Stromproduktion aller Anlagen, die noch nicht gebaut wurden, liessen sich gleich 3 AKW ersetzen: Beznau 1 und 2 sowie Mühleberg.

Gleichwohl hat die KEV gemeinsam mit ähnlichen Förderprogrammen anderer Länder die Massenproduktion angekurbelt, wodurch der Preis für Solarstrom in der Schweiz seit 2009 um fast 80 Prozent gesunken ist. «Wir können jetzt noch nicht mit dieser Förderung aufhören, da Atom und fossiler Strom immer noch viel zu billig beziehungsweise die Spiesse absolut nicht gleich lang sind», erklärt David Stickelberger von Swissolar. Der Solarstrom kostet in der Schweiz aktuell rund 18 Rappen pro kWh – optimistische Stimmen sprechen von rund 12 Rp./kWh bis 2020. Die KEV deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und dem Marktpreis. Finanziert wird sie mit einem Netzzuschlag von 1,3 Rappen (ab 2017 mit 1,5 Rappen).

Kursverlauf der Aktie von Alpiq Holding AG innerhalb eines Jahres.
Kursverlauf der Aktie von Alpiq Holding AG innerhalb eines Jahres.

Wie lange soll der Atomausstieg wirklich dauern?

Unter dem Druck der Wirtschaft sind schon wenige Jahre nach der Fukushima-Katastrophe von 2011 alle mutigen Versprechen der Schweizer Regierung bezüglich Ausstieg aus der Atomenergie verflogen. Noch im Katastrophenjahr redete der damalige Axpo-Chef Heinz Karrer von einer drohenden Stromlücke und forderte den Bau neuer AKW, obwohl alles auf eine Energiewende hindeutete. Während Konzerne wie die BKW rechtzeitig merkten, woher der Wind weht, und in nachhaltige Projekte wie Gebäudetechnik oder Windkraft im Ausland investierten, verschliefen die Stromriesen Axpo und Alpiq die Umstellung auf erneuerbare Energien. Aber auch die Schweiz schläft beim Atomausstieg. Während Deutschland 2011 (nach Fukushima) die acht ältesten Meiler sofort vom Netz nahm – die restlichen sollen bis 2022 folgen – wird nach den UVEK-Energieszenarien das letzte AKW (Leibstadt) erst 2034 stillgelegt werden. De facto ist aber nicht einmal die Begrenzung der AKW-Laufzeit sicher.

Das Tafelsilber verscherbeln?

Die Lage von Axpo und Alpiq ist so desolat, dass ihnen der Bankrott droht: In der Not öffnete Alpiq im März 2016 ihr Wasserkraftportfolio für Investoren. 49 Prozent der Wasserkraftanteile, darunter Grande Dixence, stehen seither zum Verkauf. Damit habe die Krise eine neue «emotionale Dimension» angenommen, kommentierte der «Bund». Den Energieexperten Kurt Marti («Infosperber») erinnert der Niedergang an das Swissair-Grounding. Wie die Swissair setzten auch Axpo und Alpiq auf die (fossile) Expansion im Ausland. Ein Konkurs von Alpiq würde rund 8000 Arbeitsplätze und viel fachliches Knowhow kosten.

Das Tafelsilber – die Stauseen – an unbekannte Investoren zu verscherbeln, wäre unternehmerisch ein grosser Fehler, warnen Fachleute, denn die Klimasteuer auf schmutzige Energiequellen wie Gas, Öl und Kohle werde unweigerlich kommen.

Dann wird dreckiger Strom richtig teuer und saubere Wasserkraft umso wertvoller. Denn sie ist keine Konkurrenz zu Sonne und Wind, sondern eine unverzichtbare Hilfe, mit der sich die schwankende Produktion anderer erneuerbarer Energien ergänzen und glätten lässt.