Irgendwo im Mittleren Westen von Kanada füllen die Unternehmer Troy Parquette und Moses Lam «reinste Bergluft» aus den Rockys «in echter Handarbeit» in Dosen und verkaufen sie unter dem Namen Vitality Air. Umgerechnet 30 Franken kostet es, 150 Mal Bergluft zu inhalieren. So seltsam und fragwürdig diese Geschäftsidee ist, im smogverseuchten Peking ist sie ein Erfolg.

Schaltet der Smogalarm auf Rot, schreibt Vitality Air schwarze Zahlen.

Man riskiert lieber einen Griff ins hohe Regal und gönnt seiner Lunge eine Atempause, als sich auf Lebzeiten die klebrigen Russpartikel einzufangen – wenn man es sich leisten kann. Der chinesische Durchschnittsbürger greift nach unten, zur altbekannten, weissen Feinstaubmaske.

Frischluft als Luxusware. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn frischer Sauerstoff nicht mehr frei verfügbar ist. Aufgebraucht und verschmutzt. Die Atmosphäre umgekippt wie ein überdüngter See. Wir würden uns eine Lizenz zum Atmen beschaffen müssen. Zur Not auf Pump. Atmen auf Kredit!

Frau an der Kasse: Karte oder Cash?

Kunde: (keucht) Karte.

(Kunde schiebt die Karte über den Tresen. Frau wirft einen kurzen Blick auf den Monitor. Seufzt.)

Frau: (atmet hörbar tief ein) Es sieht schlecht aus. Sie haben ihr Kontingent für diesen Monat leider schon aufgebraucht. Es tut mir leid.

Mann: (keucht jetzt sehr angestrengt) Es muss doch eine Möglichkeit geben, den Kredit zu verlängern!

Frau: Es tut mir leid. Wir können nichts machen, Sie haben keine Premium-Mitgliedschaft.

Mann (wird jetzt leicht fahl und beginnt zu gähnen)

Frau: Haben Sie niemanden, der Ihnen das Geld leihen kann? Ansonsten müssen wir Ihnen für den Rest des Monats Ihre Frischluft-Lizenz entziehen.

Mann: (sehr müde, schleppende Stimme) Nein … habe ich nicht.

Frau: (aufmunternd) Versuchen Sie es doch mal in Ihrem Bekanntenkreis. Aus Erfahrung wissen wir, es gibt immer jemanden, der noch Sauerstoff-Kontingent vom letzten Monat übrig hat. (lächelnd) Wenn Sie wüssten, wie sparsam manche Leute sein können …

Mann: (verzweifelt) Nein. Nein. Nein.

Frau: (streng) Na! Nun werden Sie mal nicht ausfallend!

Mann (fällt um – bums)

Aus. So … oder so ähnlich.

Noch seltsamer als der Erfolg des luftigen Kassenschlagers aber muten Zitate an wie «Grossartig! Luft aus der Dose. Endlich kann ich Frischluft atmen, ohne das Haus zu verlassen!» (Zitat wurde zwischenzeitlich gelöscht). Hoppla!? Was ist denn hier passiert?! Liest man ja immer wieder: Kinder, die so «verstädtert» sind, dass sie nicht mehr wissen, wie eine Tomate wächst und dass die Milch aus der Kuh kommt. Aber dass das Frischluftschnappen jetzt durch ein paar Dosen «canned air» ersetzt werden muss, ist doch recht seltsam.

Und die Macher, was sagen die dazu? Erstmal gar nichts. Interviewanfragen bleiben unbeantwortet. Aus (natürlich durchweg positiven) Berichten, die im Netz kursieren, bekommt man den Hauch einer Ahnung: Luft kann niemandem allein gehören. Ausserdem kaufen wir auch abgefülltes Trinkwasser von den Fidschi-Inseln oder aus den französischen Alpen. Atmen sei so selbstverständlich, der Mensch denke einfach zu wenig darüber nach und müsse sich erstmal an die Idee gewöhnen, dass man Luft verkaufen kann. Wie eben Wasser auch. Und darüber haben ja damals auch alle gelacht.

Sicher. Lachen wir mit – bis uns die Luft wegbleibt.