Wer profitiert vom Freihandel mit Agrarflächen, was wird Entwicklungsländern dabei versprochen und welche Ungleichheiten finden sich in den Pachtverträgen? Greenpeace hat den Deal einer Genfer Investitionsgruppe, anhand von Nachforschungen der Universität Bern und «Brot für alle», unter die Lupe genommen: Der Landkauf von Addax Bioenergy in Sierra Leone zur Herstellung von Bioethanol wurde einst als besonders nachhaltig gefeiert und von Entwicklungsbanken gefördert. Nun steht das Projekt vor dem Aus.

Diese Geschichte beginnt in Strassburg und endet in einem kleinen Dorf in Sierra Leone. 2003 ­verabschiedet das Europäische Parlament die EU-Richtlinie 2003/30/EG, auch «Biokraftrichtlinie» genannt. Biokraftstoffe werden nun gefördert, um die im Kyoto-Protokoll festgelegten Klimaziele zu erreichen. Vier Jahre später wird der Anteil am gesamten verkehrsbedingten Benzin- und Dieselverbrauch auf 10 Prozent ­festgelegt. Was sich erst mal bescheiden anhört, ­entspricht jährlich 45 Milliarden Liter Treibstoff, die nun aus Pflanzen hergestellt werden sollten. In kürzester Zeit entsteht ein immenser Markt für Agrartreibstoffe.

Die EU-Richtlinie brachte nicht nur für Europa weitreichende Neuerungen. Bald ­krem­pelte sie auch den Alltag vieler Klein­bauern auf dem afrikanischen Kontinent um. Die ­Nachfrage nach Agrartreibstoffen war ­nämlich plötzlich dermassen riesig, dass sie durch ­Zuckerrüben, Mais und Raps auf den Äckern ­Europas nicht mehr gedeckt werden konnte. Die globale Produktion von Biodiesel stieg ­zwischen 2000 und 2010 um den Faktor 22; diejenige von Bioethanol verdreifachte sich. Die Weltbank wies immer wieder auf die ­«ungenutzten» Böden Afrikas hin. Investoren kal­kulierten: je günstiger das Land, auf dem die Pflanzen für Agrartreibstoffe spriessen, desto höher die Profite. Kostet eine Hektare Land­­wirtschaftsfläche in der Schweiz zwischen 20 000 und 100 000 Franken, sind es in vielen afrikanischen Ländern um die zehn Franken. Bald schwärmten europäische Investoren nach Afrika aus, auf der Suche nach günstigem Land – zum Beispiel nach Sierra Leone.

Schweizer Milliardär in Sierra Leone

Die Schweizer Investmentgruppe AOG entschied sich für die Region Makeni im ­Zentrum Sierra Leones. Die Idee: Zuckerrohr anpflanzen, in einer eigenen Raffinerie zu ­Bio­ethanol ver­arbeiten und damit den euro­päischen Markt beliefern. Das war auch deshalb lukrativ, weil die EU die meisten afrikanischen Länder von Zöllen für den Import von Agrar­treibstoffen befreit hatte. Das tropische Klima in Makeni ist für die Kultivierung von Zucker­rohr ideal. Zudem gibt es einen Fluss für die Bewässerung der Plantagen während der ­Trockenperiode. Makeni ist über eine gute ­Strasse mit der Hauptstadt Freetown und dem ­dortigen Hafen verbunden und die ­Distanz zum  Verschiffen nach Europa ist relativ kurz. Im Frühjahr 2008 gründet AOG mit Sitz in Genf den lokalen Ableger Addax Bioenergy Sierra Leone Ltd. Gründer von AOG ist Jean Claude Gandur, der sein Vermögen (laut ­Forbes über zwei Milliarden Dollar) mit Erd­öl­deals im Irak und in Nigeria verdiente. Er ist bekannt für ­seine guten Kontakte bis in die obersten Regierungsetagen mehrerer ­afrikanischer Länder.

Gandur und seine Leute gehen wesentlich sensibler vor als viele andere Investoren in der Region. Addax sichert sich als Erstes die Unterstützung der Bauern, informiert sie über das Vorhaben und bezieht sie in die ­Planung ein. Bei einem südafrikanischen ­Berater wird ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu ­belegen, dass die Auswirkungen auf Mensch und ­Umwelt akzeptabel sind. Schliesslich wird ein ­Anwalt aus Freetown, bekannt für seine guten Be­ziehungen zur Regierung, beauftragt, mit den drei Oberhäuptern der involvierten Chiefdoms Pachtverträge auszuhandeln. Das Land wird für 50 Jahre an Addax abgetreten mit der Option auf eine Verlängerung um ­weitere 21 Jahre. Insgesamt pachtet das Unternehmen 54 000 Hektaren (mehr als 500 Quadratkilo­meter oder 75 630 Fussballfelder). 52 Dörfer und mehr als 13 000 Kleinbauern sind vom Projekt ­be­troffen. Damit ist das Schweizer Investment unter den Agrartreibstoff-Investments in ­Sierra Leone das grösste. 2011 hat Sierra Leone nach offiziellen Zahlen mehr als 10 Prozent seiner fruchtbaren Fläche an ausländische ­Investoren verpachtet. Nach Schätzungen von NGOs sind es  sogar über 20 Prozent. Addax veräussert später wieder ­einen Teil des Landes; aktuell werden nach eigenen Angaben noch 14 300 Hektaren ­genutzt.

Der Preis wird auf jährlich neun US-Dollar pro Hektare angesetzt. Zur Kompensation er­stellt das Unternehmen einen ausgeklügelten Verteilschlüssel: 50 Prozent gehen an die Landeigentümer, 20 Prozent an die Oberhäupter der drei Chiefdoms, 20 Prozent an die ­Distriktverwalter und 10 Prozent an die Regierung. Landeigentümer erhalten zusätzlich ­eine Abfindung von jährlich 3,2 US-Dollar pro Hektare für verlorene Getreideanbauflächen. Auf 2000 Hektaren soll mit Hilfe der Food and Agri­culture Organization (FAO) der UNO ein Entwicklungsprogramm für Bauern aufgebaut ­werden. Darin sollen sie lernen, halbmecha­nisiert Reis anzupflanzen, um ihre Ernährung sicherzustellen. Der Deal scheint sauber und raffiniert zu sein: Niemand wird enteignet, das übernommene Land wird entschädigt, die Dorfbewohner werden in die Pläne von Addax involviert. Der Schweizer Investor tritt als Musterschüler und Saubermann der Branche auf. Man gibt sich alle Mühe, nicht Teil der ­Debatte um das globale Landgrabbing (siehe Kasten) zu werden – auch wenn NGOs wie Brot für alle schon bald kritisieren, dass viele beim Addax-Deal leer ausgingen. Darunter vor allem die Frauen, die nach Gewohnheitsrecht kein Land besitzen dürfen, und die ­Landnutzer ohne Eigentum, die von Familien­an­gehörigen und Nachbarn leihweise Land zum Gebrauch erhalten, auf das sie für ihre Selbst­versorgung angewiesen sind.

Am 9. Februar 2010 reist Addax-Gründer Gandur mit dem Präsidenten von Sierra Leone, Ernest Bai Koroma, in die Nordprovinz, wo das Bioethanolprojekt angesiedelt ist. In einem Memorandum of Unterstanding zwischen Addax und dem Staat Sierra Leone werden dem Unternehmen weitreichende Steuererlasse über 20 Jahre eingeräumt. Für das Wasser aus dem Fluss zur Bewässerung der Plantagen wird ein Preis von 0,076 US-Cent pro Kubikmeter vereinbart. Im Gegenzug verspricht Addax bis zu 4000 ­Arbeitsplätze auf den Feldern und in der Bio­ethanolproduktion. Hände werden geschüttelt, Gandur und Koroma sind zufrieden. Der eine wird seinen Shareholdern in Genf von einem ge­lungenen Deal für AOG berichten, der ­andere seinen Wählern in Sierra Leone vom per­sön­lichen Einsatz für den wirtschaftlichen ­Aufschwung.

Fehlende Millionen infolge von Steuergeschenken

Und was haben die Bürger von Sierra Leone vom Deal? Die Hilfsorganisation Christian Aid UK hat den Steuerausfall für Sierra Leone aufgrund der mit Addax vereinbarten Sondersteuerregelung auf jährlich 12 Millionen Dollar berechnet. 13 Jahre sollte das Unternehmen davon profitieren, was zu Steuerausfällen von 135 Millionen Dollar führen würde. Das ist viel für ein Land, das im Human Development Index den fünftletzten Platz belegt, in dem in manchen Gebieten mehr als die Hälfte der Menschen mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen müssen und die Lebenserwartung bei 50 Jahren liegt. Elisabeth Bürgi ist Spezialistin für ­Völ­ker­recht am Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. ­Einer  ­ihrer Arbeitsschwerpunkte sind Large Scale Land Acquisitions (LSLAs), wie die grossen Land­käufe durch ausländische Investoren im Fach­jargon genannt werden. «Bei solchen Land­deals herrscht in steuerrechtlichen Fragen der Wilde Westen», sagt sie. «Es bräuchte ­inter­nationale Regeln zur Eindämmung des aggres­siven Steuerwettbewerbs, damit Entwicklungsländer überhaupt von Investitionen in Land  profitieren könnten.» Doch solche Regeln ­fehlen bis heute, obwohl sie laut Bürgi aus Sicht der Menschenrechte dringend geboten wären. Selbst die OECD und der Internationale Währungs­fonds stellen solche grosszügigen Steuergeschenke heute in Frage. Nur die ­Welt­bank hält daran fest.

Im Rahmen eines dreijährigen NationalfondsProjekts des CDE zu LSLAs mit Schweizer Beteiligung hat Bürgi auch den Vertrag zwischen Addax und Sierra Leone unter die Lupe ge­nommen. Besonders problematisch findet sie – abgesehen von den Steuererlassen – die Stabilitätsklausel: Damit wird das zur Zeit der ­Ver­­träge geltende Recht eingefroren und Addax bleibt ausgenommen von Gesetzesänderungen, die das eigene Geschäft negativ beeinflussen könnten. Das Unternehmen entzieht sich damit künftigen politischen Reformen. Zudem sieht Addax in diesem Grundvertrag ein Schiedsgericht in London für rechtliche Auseinander­setzungen vor. Das bedeutet, dass die Bauern und die Zivilgesellschaft noch weniger Mög­lichkeiten haben, gegen das Projekt zu klagen, als dies aufgrund von Analphabetismus und fehlendem Zugang zu Kommunikationsmitteln ohnehin der Fall ist.

Trostlose Stimmung: ein Blick auf die Zuckerrohrfabrik von Addax. © Fabian Käser
Trostlose Stimmung: ein Blick auf die Zuckerrohrfabrik von Addax. © Fabian Käser

Risiken auf Steuerzahler abgewälzt

Obwohl internationale Experten solche Verträge schon lange kritisieren, wird das Bio­ethanolprojekt in Makeni von Beginn weg als Entwicklungshilfe vermarktet. Addax gelingt es, gleich mehrere Entwicklungsbanken für das Unternehmen zu begeistern. Rund die Hälfte der insgesamt 455 Millionen Euro Investitionska­pital schiessen deutsche, englische, nieder­ländische, belgische, schwedische und öster­reich­ische Entwicklungsbanken und -fonds ein. Die niederländische und die schwedische ­Entwicklungsbank beteiligen sich sogar zu 21 ­Prozent am Aktienkapital. 25 Millionen Euro schiesst die Afrikanische Entwicklungsbank ein, die von mehreren Staaten finanziert wird, ­darunter auch von der Schweiz. Ein bedeutender Anteil der Investitionen für AOGs riskantes ­Projekt in Sierra Leone stammt somit aus europäischen Steuergeldern – darunter auch solche aus der Schweiz.

Auch punkto Nachhaltigkeit wird das Projekt früh als Leuchtturm gefeiert: Addax wird 2013 als erstes Zuckerrohr-Bioethanol-Projekt Afrikas in den Clean Development Mechanism des UNFCC aufgenommen (Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen). Mit den Abfällen aus der Bioethanolproduktion soll nämlich Strom produziert werden – 15 ­Megawatt, rund 20 Prozent des Gesamtbedarfs von Sierra Leone. Damit würden jährlich 56 000 Tonnen CO2 eingespart, die sonst aus der ­Verstromung von Diesel angefallen ­wären, so die Kalkulation. An den Abfällen aus der Bio­ethanolproduktion verdient Addax ­also gleich zweimal – mit der Stromproduktion für Sierra Leone und den handelbaren CO2-Reduktions-Zertifikaten. Dies obschon mehrere Studien die Nachhaltigkeit von grünen Agrar­treibstoffen zu diesem Zeitpunkt bereits widerlegt haben, darunter zwei Forschungsarbeiten der Empa (2003 und 2007) im Auftrag des Bundes. Die Forscher haben darin gezeigt, dass die Treib­hausgasemissionen bei Bioethanol zwar tat­sächlich geringer sind als bei Standard­benzin, die Gesamtumweltbelastung jedoch wesentlich höher ausfällt. Dies aufgrund intensiver ­Landnutzung sowie Dünger- und Pestizid­einsatz. Zudem ist der Wasserverbrauch enorm: Für einen Liter Bioethanol werden durchschnittlich 2100 Liter Wasser verbraucht.

Unabhängig davon erhält die Addax Bio­energy Sierra Leone Ltd. noch im gleichen Jahr vom Roundtable on Sustainable Biomaterials (RSB) ein Nachhaltigkeitszertifikat verliehen – das erste überhaupt für eine Bioethanol­produktion auf dem afrikanischen Kontinent. ­«Addax Bioenergy ist in kürzester Zeit zu einem ­Modell für nachhaltige Projekte in Afrika ­geworden», lässt Peter Ryus vom RSB verlauten. Es ist ein Lob unter Freunden: Der in Lausanne ansässige RSB wurde 2007 von Grosskonzernen und Treibstoffproduzenten ins Leben gerufen, darunter Shell, Petrobras, Du Pont und Addax Bioenergy selbst – unter Mitwirkung von ­mehreren NGOs wie WWF und dem Sierra Club. Über die RSB-Zertifikate sichern sich Unternehmen den Zugang zum EU-Markt und er­wer­ben Vertrauen bei Partnern wie zum Beispiel Entwicklungsbanken. Mehrere NGOs kritisierten den RSB schon früh für Schein­zertifizierungen und Greenwashing.

«Clash of civilizations» vor den Fabriktoren

Um mehr darüber zu erfahren, wie es um die soziale und gesamtwirtschaftliche Nach­haltigkeit steht, die der RSB zusätzlich zur ökologischen für seine Zertifizierungen bean­sprucht, treffe ich mich mit Fabian Käser. Der junge Sozialanthropologe und Doktorand an der Universität Bern reiste für seine Master­arbeit im Sommer 2013 nach Makeni, um mit ­anderen Studierenden die Auswirkungen des Addax-Projekts zu erforschen. Er lebte drei Monate bei einem Lehrer in einer Siedlung neben der Bioethanol-Produktionsanlage, befragte die Menschen zu ihrem Alltag und nahm an ihrem Leben teil. Gleichzeitig traf er lokale ­Addax-Manager für Interviews. Seit seiner Rückkehr hat sich das Unternehmen zweimal bei der Universität beschwert. Er nimmt es gelassen, seine Erkenntnisse sind gut dokumentiert. Käser spricht von einem «Clash of civilizations», einem Aufeinanderprallen von zwei ­Welten, die nichts gemein haben. Die Trennlinie war nachts am Licht abzulesen: Die eine Seite, wo die Expats der von Addax beauftragten Subunternehmen aus Südafrika, Senegal und Indien lebten, war hell erleuchtet. Die andere Seite, wo die Einheimischen, Hunderte aus dem ganzen Land zugezogene Wanderarbeiter und Käser lebten, lag im Dunkeln. Auf der hellen Seite ein medizinisches Zentrum, weisse Jeeps und Klimaanlagen, auf der dunklen Seite Feuerstellen, ­zusammengeflickte Fahrräder, Lehmhütten und Armut. Die Manager und Chefs der Fabrik, ­vorwiegend Weisse aus Südafrika, lebten fernab in einer Gated Community.

«Natürlich gab es auch welche, die von der Situation profitierten, eine Bar eröffneten oder Lebensmittel an Angestellte verkauften und sich so neue Einkommensquellen erschlossen», erzählt Käser. Und man dürfe die Situation vor der Ankunft von Addax auch nicht romantisieren: «Niemand in Makeni hing an einem kleinbäuer­lichen Dasein. Die Leute wollten Modernisierung, Wohlstand, Arbeit und ein besseres Leben. Aber die meisten wurden enttäuscht.» Eine Umfrage Käsers unter 504 Dorfbewohnern ergab, dass nur ein Fünftel tatsächlich bei der Firma ­angestellt war – für 2 bis 5 Dollar am Tag, was knapp dem Mindestlohn in Sierra Leones ­öffentlichem Dienst entspricht. Die meisten arbeiteten als Tagelöhner, schleppten Zementsäcke, zogen Zäune, hoben Gräben aus, fällten Palmen und bestellten Felder. Die meisten Bauern hätten aufgrund des verkauften Landes einen Geldsegen erwartet, bessere Infrastruktur und eine An­stellung in der Fabrik. Doch bald sei Ernüch­terung aufgekommen, für wie wenig ­dieses Geld reichte – vor allem weil die Preise für Lebens­­mittel durch die Bevölkerungszunahme im Dorf und den Verlust von wichtigen Ressourcen für die lokale Selbstversorgung stark gestiegen waren.

Die Zuckerrohrplantagen brauchen riesige Bewässerungsanlagen. © Fabian Käser
Die Zuckerrohrplantagen brauchen riesige Bewässerungsanlagen. © Fabian Käser

Diebstahl, Proteste und Ebola

Loyalität gegenüber Addax suchte Käser vergeblich. Die Bioethanolproduktion wurde seinen Erzählungen zufolge kontinuierlich sabotiert, indem lokale Mitarbeitende Pumpen und Werkzeuge stahlen. Immer wieder nahmen Addax-Manager desillusioniert den Hut. Schlies­s­lich kam es vereinzelt zu Aufständen und Aus­einandersetzungen. Durch solche Zwischenfälle geriet die Bioethanolproduktion wiederholt in Verzug. Zugleich fielen die Ernten geringer aus als ursprünglich kalkuliert und der Ölpreis be­findet sich seit 2013 im Sinkflug. Im Mai 2014 sprang dann auch noch die Ebola-Epidemie auf Sierra Leone über. Mitarbeitende starben und die meisten Subunternehmer flohen Hals über Kopf aus dem Land. Schliesslich veröffentlichte die EU am 28. April 2015 die Richtlinie P8_TA-PROV(2015)0100, die den Anteil herkömmlicher Agrartreibstoffe für den Transportbereich auf 7 Prozent beschränkte. Der einst so vielversprechende EU-Markt war über Nacht um fast die Hälfte geschrumpft. Priorität haben seither Bio­treibstoffe aus Pflanzenabfällen, die tatsächlich «grün» sind. Am 24. Juni 2015 gab Addax Bioenergy in einer Medienmitteilung bekannt, die Produktion in Makeni werde herunterge­fahren. Seither steht die Fabrik still, von Wächtern bewacht, damit sie nicht in Einzelteile ­zerlegt wird. Eine Anfrage Anfang März nach der Zukunft des Projekts beantwortete die AOG in Genf mit einem Hinweis auf die acht Monate alte Medienmitteilung. Der einstige Leuchtturm für Entwicklung und Nachhaltigkeit hat seine Strahlkraft verloren. Das könnte nicht nur AOG, sondern auch die Entwicklungsbanken teuer zu stehen kommen – und mit ihnen die Steuerzahler, deren Geld mit im Projekt steckt. Den höchsten Preis werden aber die Bauern in Makeni bezahlen. Wenn Addax endgültig abzieht, haben sie alles verloren: den einzigen Arbeitgeber und ihr Land.

Addax in Sierra Leone: Verkauf ins Ungewisse. Der Landwirtschaftsminister Sierra Leones gab im März gegenüber der Wirtschaftssendung «eco» von SRF bekannt, dass Übernahmegespräche für das Addax-Projekt in Makeni mit der ­britischen Sunbird Bioenergy Ltd. stattfinden. Bei AOG in Genf hiess es Ende März lediglich, die Evaluierung des Projekts sei verlängert worden. Was mit den Pachtverträgen und den rund 235 Millionen Franken an öffentlichen Geldern bei einem Verkauf geschieht, ist unklar. Brot für alle und die lokale NGO Silnorf begleiten die Menschen in der Umgebung von Makeni seit 2010. Sie fordern, dass die Entwicklungsbanken und das Seco Verantwortung übernehmen und sicher­stellen, dass das Projekt nicht an eine Firma mit zweifelhafter Vergangenheit verkauft wird und dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Schweizer Landgrabbing: über 180 000 Hektaren. Die Landmatrix der Universität Bern ist die weltweit umfassendste ­Datenbank für grossflächige Landkäufe von Staaten und Investoren. Insgesamt 40 Millionen ­Hektaren (400 000 km2) Land sind aufgeführt, die seit dem Jahr 2000 gehandelt wurden, ­darunter auch 18 Deals von insgesamt 180 000 Hektaren mit Schweizer Beteiligung. Drei ­weitere grosse Geschäfte (170 000 Hektaren) sind gescheitert. Die grössten Investoren sind Glencore Xstrata mit 80 000 Hektaren in der Ukraine und Addax Bioenergy mit 44 000 Hektaren in Sierra Leone. Weitere Zielländer sind Brasilien, Nicaragua, Myanmar und Mosambik. Der Biotreibstoff-Boom und die Suche nach ­neuen Investitionsmöglichkeiten als Folge der Finanzkrise von 2008 führten dazu, dass euro­päische Firmen heute zu den grössten Land­käufern gehören.