Die COP21 ging am 12. Dezember mit dem Abschluss eines historischen Klimavertrags zu Ende. Ohne die Aktionen und den Druck der Zivilgesellschaft wäre es wahrscheinlich nie dazu gekommen.

Wir haben während der COP21 mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren gesprochen und wollten von ihnen wissen: Wie engagieren sie sich in Paris für eine gerechtere, nachhaltigere und enkeltauglichere Welt?

John aus Wyoming protestiert in Paris gegen Fracking. Zugleich will er sich mit Umweltschützern aus aller Welt solidarisieren.
John aus Wyoming protestiert in Paris gegen Fracking. Zugleich will er sich mit Umweltschützern aus aller Welt solidarisieren.

John Fenton (43), Wyoming, «Stop the Frack Attack»

«Ich bin hier in Paris um Menschen aus den USA zu vertreten, die von der extremen Förderung von fossilen Energieträgern betroffen sind. Fracking ist bei uns derzeit das grösste Problem. Mein Freund Shane kommt aus Colorado, wo es heute über 50’000 Fracking-Bohrlöcher gibt, über die Gas gefördert wird. In Wyoming, wo ich her komme, sind es über 20’000 und unser Grundwasser ist verseucht. Mein Freund Robert kommt aus einer Gegend, wo ganze Berge abgetragen werden, nur um Sand zu gewinnen, der beim Fracking zusammen mit Wasser und Chemikalien ins Bohrloch gepresst wird. Alleine im letzten Jahr wurden 300 Millionen Tonnen Sand abgebaut. Eine einzige Bohrung braucht bis zu 10’000 Tonnen Sand. Dadurch geht Sandstein verloren, der als natürlicher Filter für unsere Wasseraquifere dient. Was die Mutter Natur über tausende von Jahren geschaffen hat, wird mit Maschinen in wenigen Jahren zerstört.

Wir haben ‹Stop the Frack Attack› 2011 als Grassroots-Organisation von Betroffenen gegründet. Darin sind alle US-Bundesstaaten vertreten und derzeit arbeiten wir an einer internationalen Koallition. Vor wenigen Tagen haben wir hier in Paris eine Anti-Fracking-Konferenz abgehalten mit Vertretern aus 34 Ländern. Menschen aus der ganzen Welt wissen nun von unserem Kampf gegen das Fracking in den USA. Macht entsteht durch Einigkeit und Gemeinschaft — deshalb ist Paris eine einmalige Chance, um uns noch besser zu vernetzen und zu organisieren. Ich bin aber auch hier, weil ich mich all den Menschen anschliessen will, die für die Natur und ihre Heimat kämpfen. In den USA sind das leider nur wenige. Die meisten Leute sind apathisch und geniessen den Komfort ihres Alltags. Selbst wenn die Probleme offensichtlich werden, wollen sie ihre Komfortzone nicht verlassen. Wir wollen ihnen zeigen, dass jeder etwas tun kann und es nicht allzu schwierig ist, für etwas einzustehen, dass einem wichtig ist.»

Dominic setzt sich in Malawi für Bildung und Wissen zum Klimawandel ein. Dafür lässt er Schüler Bäume pflanzen.
Dominic setzt sich in Malawi für Bildung und Wissen zum Klimawandel ein. Dafür lässt er Schüler Bäume pflanzen.

Dominic Amon Nyasulu (31), Lilongwe, «National Youth Network on Climate Change»

Dominic will etwas bewegen. Er spricht bestimmt, klar und in tiefem Bass. Nur wenn eigene Emotionen seine Erzählungen kreuzen, wird sie etwas unkontrolliert und schrill. Dominic erzählt direkt von der Klimafront; er ist auf überschwemmten Äckern unter einer brütenden Sonne genauso zuhause, wie in wohl temperierten Sitzungszimmern.

Dominic ist Teil der offiziellen COP21-Klimadelegation Malawis und repräsentiert die Jugend seines Landes in Paris. Zuhause sensibilisiert er als Leiter des «National Youth Network on Climate Change» die Jugend für das Thema Klimawandel. Zum Beispiel in Programmen, die er zusammen mit Schulen entwickelt: In mehreren Distrikten konnte er Lehrer davon überzeugen, jeden Schüler einen Baum pflanzen zu lassen, zu dem dieser während des Schuljahrs Sorge tragen muss. Das ist Aufforstung und Sensibilisierung in einem. «Die Abholzung gehört heute zu den grössten Problemen Malawis», sagt Dominic. «95 Prozent der Menschen nutzen Holz um ihren Energiebedarf abzudecken — vor allem zum Kochen. Aber weniger als 10 Prozent der Waldbestände werden wieder aufgeforstet.»

Das hat weitreichende Konsequenzen: Anfangs Jahr erlebte Malawi eine der schlimmsten Überschwemmungen aller Zeiten. Mehr als 600’000 Menschen waren betroffen, über 200’000 mussten fliehen und viele starben. Mit ein Grund für das Ausmass der Katastrophe waren die abgeholzten Flussufer. Wo früher Wälder eine natürliche Barriere formten, standen nun keine Bäume mehr, welche die Fluten hätten zurückhalten können. «Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Malawi schon heute gravierend», erzählt Dominic. «Normalerweise dauerte die Regenperiode in unserem Land von Oktober bis April. Aber jetzt erleben wir in dieser Periode sowohl Überschwemmungen als auch Dürren.»

In Malawi leben die meisten Menschen bis heute von der Landwirtschaft. Dass der Regen seit einigen Jahren nicht mehr vorhersehbar ist, ist für Kleinbauern verheerend. «Früher konnte man darauf zählen, dass bald Regen einsetzen würde, wenn die Vögel von Osten nach Norden flogen. Das ist unser traditionelles Wissen, nach dem sich die Menschen über Jahrhunderte organisierten. Doch das funktioniert heute nicht mehr. Wir brauchen ein neues Bewusstsein, zusätzliches Wissen und neue Technologien. Nur so können wir uns den veränderten Bedingungen anpassen.» Der Klimawandel verschärfe zudem aktuell die sozioökonomischen Veränderungen im Land: Bauern verlieren aufgrund der Dürre ihr Land, Süsswasserseen trocknen aus und lassen Fischer ohne Einkommen zurück. Auf der Suche nach Arbeit migrieren sie in die Stadt, werden meist enttäuscht und landen in Slums. Die Frauen bleiben mit den Kindern auf dem Land zurück. Oft sähen sie in der Prostitution die einzige Möglichkeit, um die Kinder ernähren zu können, erzählt Dominic.

Mona will Widerstand und Alternativen säen. Als Metapher dafür zeichnet sie den Flugschirm eines Löwenzahns.
Mona will Widerstand und Alternativen säen. Als Metapher dafür zeichnet sie den Flugschirm eines Löwenzahns.

Mona Caron, San Francisco, Künstlerin und Mitorganisatorin des «L`atelier des possibles»

Im «L’atelier des possibles» finden Aktivisten, was das Herz begehrt. Um ihren Aktionen die richtige Form und Farbe zu verleihen liegen hier auf den Tischen Farben und Pinsel, Hammer und Sägen. In den Ecken stehen aufgerollte Stoffbahnen und Bambusstöcke zum Befestigen von Banderolen. Zwei junge Männer sitzen am Boden und spielen Gitarre. Derweil bastelt eine Gruppe an ihren «Foghorns» — mit Druckluft betriebene Hörner, die der Zivilgesellschaft am kommenden 12. Dezember, am Abschlusstag der Klimakonferenz, in den Strassen von Paris zu einer lauten Stimme verhelfen sollen. Andere falzen aus rotem Filz kleine Rosen, die als Zeichen der Solidarität während der Aktion verteilt werden. Und wieder andere malen an zwei knallroten, hundert Meter langen Bannern, die symbolisch für die roten Linien stehen, die nicht überschritten werden dürfen — allen voran die Temperaturmarke von 1.5°C.

Mona Caron ist eine der Helferinnen im temporären Atelier, das in einem alternativen Kulturzentrum am Rande von Paris eingerichtet wurde. Sie hilft den Aktivisten ihren eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden, brainstormt über Konzepte und organisiert Materialien. Mona ist in Locarno aufgewachsen und lebt seit 25 Jahren in San Francisco. Seit über zehn Jahren kooperiert die Künstlerin mit verschiedenen sozialen Bewegungen; vor allem aus Nord- und Südamerika. Letzte Woche war sie damit beschäftigt, Aktionen zu fotografieren, für welche sie die Kunst entworfen hatte — vor allem für indigene Gruppen aus Amerika. Sie protestieren in Paris gegen das Verschwinden ihrer Lebensräume. An diesem Freitagabend vor der grossen Abschlussaktion kommt Mona erstmals dazu, an ihrem eigenen Banner zu arbeiten: Auf ein Stück Baumwolle malt sie mit roter Farbe einen Flugschirm eines Löwenzahns — eine Metapher für die Saat von Widerstand und Alternativen.

Mona freut sich darüber, dass sich hier und an vielen anderen Orten in Paris so viele Aktivisten auf eine friedliche Demonstration vorbereiten. Dies trotz des Ausnahmezustandes, den die französische Regierung nach den Terrorattacken verhängt hatte. Versammlungen von mehr als zwei Personen sind seither verboten. Wie die meisten Klimaaktivisten, die aus aller Welt nach Paris gereist sind, hat sie dafür kein Verständnis. «Wir wollen, dass morgen jedermann für Klimagerechtigkeit auf die Strasse gehen kann, unabhängig von Farbe, Alter oder Klasse. Aber die Unsicherheiten infolge des Ausnahmezustands haben dies schwierig gemacht. Junge, energische Menschen sind bereit Risiken auf sich zu nehmen. Andere können das nicht; weil sie verletzlich sind — körperlich oder juristisch oder infolge ihrer Herkunft. Wir werden deshalb weniger sein als ursprünglich geplant. Und die Unsicherheit führt auch zu Spannungen innerhalb der Klimabewegung.» Mona war schon am Eröffnungswochenende der Klimakonferenz vor zwei Wochen auf der Strasse. Sie schwärmt: «Ältere Pariserinnen, junge Philippiner, die zu Fuss aus Rom gekommen waren, lokale afrofeministische Gruppen und Mitglieder der antikapitalistischen Bewegung — alle waren draussen, griffen sich an den Händen und bildeten lange Menschenschlangen. Das war der Beginn eines Dialogs und Ausdruck von Solidarität zwischen Menschen, die schon heute vom Klimawandel betroffen sind, und solchen, die in denjenigen Ländern leben, die dafür verantwortlich sind.»

Mona macht sich keine Illusionen, dass ihre Kunst und die Aktionen das Verhalten der Regierungsvertreter unmittelbar beeinflussen könnten: «Ich bin alt genug und kämpfe schon zu lange gegen die globale Übermacht von Grossunternehmen, um zu wissen, dass soziale Bewegungen von ihren Regierungen nie unmittelbar bekommen, was sie fordern. Aber schon alleine der Dialog zwischen den verschiedenen Gruppierungen und deren Suche nach einer sozialen Alternative hier in Paris sind ein Erfolg. Jede einzelne Gruppierung und Aktion wird am Ende einen Unterschied machen, wenn es gelingt, Menschen dadurch zu inspirieren. Auch wenn diese Wirkung vielleicht nicht so unmittelbar sichtbar wird, wie junge Menschen es sich erhoffen.»

Ateeq will die muslimische Gemeinde im Kampf gegen den Klimawandel vereinen. Er findet im Koran die Basis dafür.
Ateeq will die muslimische Gemeinde im Kampf gegen den Klimawandel vereinen. Er findet im Koran die Basis dafür.

Ateeq Salik (26), Manchester, «Muslim Climate Action»

Ateeq war beruflich in Mali, in Pakistan und in Jordanien. Dort konnte er mit eigenen Augen sehen, welche Auswirkungen harsche Winter oder Überschwemmungen auf die Menschen haben. «Die Ärmsten trifft es immer zuerst. Wir im Westen, mit unseren Autos und Air Conditioners, wollen das oft nicht wahrhaben — aber irgendwann wird der Klimawandel auch vor uns keinen Halt mehr machen.» Das Thema Klimawandel sei heute auch in der muslimischen Gemeinde präsenter als noch vor fünf Jahren, sagt er. «Und in fünf Jahren wird das Thema noch dringlicher sein. Deshalb müssen wir schon heute zusammenstehen und dagegen ankämpfen.»

Ateeq ist Fundraiser bei «Islamic Relief», einer NGO, die 1984 von englischen Studierenden gegründet wurde. Er hat auf die COP21 hin zusammen mit anderen muslimischen Hilfsorganisationen eine zivilgesellschaftliche Koalition gegründet, die «Muslim Climate Action». Seine Erfahrungen in Paris will er zurück in die muslimischen Gemeinden bringen und damit einen Beitrag zu mehr Klimabildung in der Gesellschaft leisten. Für seinen Kampf gegen den Klimawandel bezieht sich Ateeq auf den Koran: «Unsere Religion sagt uns: Esst und trinkt, aber verschwendet nichts, was euch Gott gegeben hat. Sie lehrt uns auch, dass uns die Erde im Vertrauen gegeben wurde, damit wir sie sicher, sauber und friedvoll halten. Und sie lehrt uns Sorge zu tragen zu Pflanzen, Tieren und anderen Menschen.» Er betont jedoch, dass er seine Hilfe und sein Engagement nicht abhängig von einer bestimmten Religion macht. «Der Klimawandel betrifft jeden — unabhängig von Religion, von Rasse oder Geschlecht. Wenn wir uns jetzt nicht alle gemeinsam um unseren Planet kümmern, dann wird es uns einmal alle nicht mehr geben.»

Ateeq kam mit einer Gruppe von 35 Muslimen nach Paris, viele seiner Kollegen tragen Bärte, die Kolleginnen einen Hijab. Sie seien freundlich und nett empfangen worden, sagt er. Die islamistisch motivierten Terrorattacken von Paris hätten daran nichts geändert. «Ich glaube die Menschen in Paris wissen, dass die Greuel, die hier verübt wurden, nicht die muslimische Gemeinschaft repräsentieren. Wir müssen uns gegen solche Verbrechen genauso vereinigen wie gegen den Klimawandel.»

Eine Kurzdokumentation über die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten während der COP21 von Filmemacherin Esther Petsche und Journalist Samuel Schlaefli: